Heute wende ich mich nicht an die Leser:innen dieses Blogs, sondern an lesende Menschen, die in Rezensionen, Gesprächen und/oder einfach so für sich finden, dass in Büchern "zu viel Queerness" herrscht.
Seit ich mich vor ca. drei Jahren als pansexuell geoutet habe, stehe ich für die queere Community ein. Nicht in jeder Situation und nicht jedem (queerfeindlichen) Menschen gegenüber, aber so oft es geht und so oft ich mich traue.
Da ich meine Meinung öfter teilen möchte, auch wenn ich anecke, tue ich das jetzt einfach mal in Form eines offenen Briefes.
Stell'
Dir vor, es wäre andersherum: Queerness wäre die Norm und
Heterosexualität wäre es nicht. Nun stell Dir weiter vor, Du stehst als
Frau auf Männer (oder umgekehrt), liest aber viele Jahre lang ausschließlich Bücher,
in denen z. B. Frauen Frauen + Männer Männer lieben, trans Personen
vorkommen usw. Weil es keine Bücher mit Heterosexualität gibt.
Irgendwann
gibt es dann Bücher mit wenigen heterosexuellen Beziehungen. Und
plötzlich erscheint ein Buch mit vielen oder sogar fast ausschließlich
heterosexuellen Figuren. Du fühlst Dich plötzlich gesehen, kannst Dich
mit den Figuren identifizieren. Und vor allem: So eine Welt wünschst Du
Dir (manchmal).
Wie würdest Du Dich dann fühlen, wenn eine
queere Person dazu meint "boah nee, das war mir zu viel
Heterosexualität"- nachdem Du jahrelang Bücher lesen "musstest", die nur
queere Figuren und deren Liebe und Identitäten beinhalten?
So, wie sich dieses Buch für Dich angefühlt hat, fühlen sich heteronormative Romane oft für queere Menschen an.
Nun habe ich gerade selbst eine
Reihe gelesen, in der viele queere Themen und Beziehungen eine
Rolle spielen. Und ich habe das gefeiert! Gleichzeitig fielen mir aber die Kommentare und Rezensionen wieder ein, in denen von "zu viel Queerness" die Rede war. Und ich habe mir überlegt, diesen offenen Brief zu verfassen.
Denn ich sehe es kritisch.
Queerness
in Büchern ist unfassbar wichtig, und zwar mehr als Randfiguren hier
und da. Toleranz, Akzeptanz und Sichtbarkeit können nur entstehen, wenn
es viel davon gibt. Facettenreichtum ist das Stichwort. Es gibt bekanntlich viel mehr als
Homosexualität im queeren Spektrum. Schwule Figuren gibt
es öfter als andere queere Charaktere. Wenn sich nun ein:e Autor:in vornimmt, einige weitere sexuelle
Orientierungen aufzunehmen, fühlen sich auch diese Menschen
repräsentiert (zum Beispiel Asexualität und Pansexualität sind sehr
rar, aber auch lesbische Frauen sind eher unterrepräsentiert in meinen Augen).
Früher hätte ich mir Bücher mit LGBTQIA+ gewünscht. Denn
seit ich sie lese(n kann, weil es sie gibt), fühle ich mich nicht mehr
so "anders" und allein. Und ich würde mir wünschen, dass queere Figuren auch in Romane eingebettet werden, ohne dass ich in Unternischen bei Verlagen danach suchen muss.
Mir kommt es nicht darauf an, Deine Worte auf die Goldwaage zu legen.
Als Bloggerin weiß ich selbst, wie lange man manchmal an Formulierungen
feilt und am Ende doch nicht so zufrieden ist.
Stattdessen möchte ich zu bedenken geben, dass Sichtbarkeit in
Büchern usw. enorm wichtig ist und quasi gilt "je mehr, umso besser" -
zumindest dann, wenn sie sich passend in die Geschichte einfügt und sich ein rundes Ganzes ergibt.
Denn ist es nicht logisch, dass queere Charaktere auch ein größeres
queeres Umfeld haben?
Ich weiß, wie es sich anfühlt, queer zu sein und das ist mit nichts vergleichbar. Deshalb finde ich es manchmal schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Einerseits sind wir eine so genannte Minderheit. Gleichzeitig sind wir manchen Menschen aber auch wieder zu laut, wenn wir unsere Meinung vertreten.
Queer zu sein gehört zu meiner Identität und ich freue mich darauf, weitere Bücher mit queeren Charakteren zu entdecken und auf diesem Blog vorzustellen - ganz egal, was Du davon hältst.
Denn unabhängig davon, ob Du diese Bücher gerne liest/Dich daran störst, können sie anderen - queeren - Menschen helfen, sich gesehen zu fühlen und/oder sie in ihrem Coming-Out zu bestärken.
Melli
***
Anmerkung:
Ich
habe beschlossen, ausnahmsweise nicht die Kommentare unter diesem
Beitrag direkt zu beantworten. Inzwischen ist es mir doch ein Anliegen, einige Worte persönlich an die Kommentierenden zu richten.
Trotzdem kann ich eine Sache nicht so
stehen lassen:
Natürlich wird ein Buch unrealistisch, wenn zum Beispiel ausschließlich eine Körperform dargestellt wird.
Queerness ist aber eben gerade NICHT mit kleinen, großen, übergewichtigen, schlanken, hübschen usw. Figuren vergleichbar.
Stattdessen
rangiert Queerness auf einer ganz anderen Ebene und hat ein vollkommen
anderes Ausmaß. Queere Menschen wurden jahrhundertelang diskriminiert,
verfolgt, inhaftiert und ermordet. Es gab schon immer queere Menschen,
sie werden nur heute durch Medien aller Art sichtbar gemacht, zum
Beispiel durch Bücher.
Vermutlich
spielt die Anzahl an queeren Figuren gar nicht die zentrale Rolle in
einer Handlung, sondern wie die Charaktere gezeichnet sind. Wenn eine
Geschichte beispielsweise von einem schwulen Mann handelt und es wird
kurz erwähnt, dass er auf Männer steht oder er geht ohne viele Worte
eine Beziehung mit einem Mann ein, wird seine Queerness in meinen Augen
prima eingebettet. Wird dagegen in jedem zweiten Satz penetrant erwähnt
und betont, dass er schwul ist, fände ich das übertrieben, unnötig und
dann auch ab einem gewisssen Punkt unrealistisch, wenn weitere queere
Figuren hinzukommen UND bei ihnen genauso verfahren wird. Dann wäre die
Geschichte womöglich mit queeren Aussagen überladen, aber nicht mit
queeren Figuren. Hierbei spielt gewiss auch die eigene Lebensrealität
eines jeden Menschen eine Rolle, wie er das wahrnimmt.
Ich
möchte keine öffentliche Diskussion zu dem Thema führen, weil es mich
emotional sehr berührt und quält. Hätte ich beispielsweise zur Zeit des
Zweiten Weltkriegs gelebt, wäre ich auch inhaftiert und möglicherweise
ermordet worden. Und auch heute muss ich mir genau überlegen, in welche
Länder ich reise und welche Gesetze dort gelten. Denn immer noch in 66
Ländern wird insbesondere Homosexualität strafrechtlich verfolgt und
auch die Todesstrafe existiert weiterhin in über zehn Staaten.