diese Blogpost-Reihe war eigentlich gar nicht geplant :D Es wird hier auch bald wieder um Bücher gehen - versprochen!
Aktuell beschäftigt mich aber natürlich mein äußeres Coming-Out sehr, weshalb ich beschlossen habe, öffentlich auch über mein inneres Coming-Out zu sprechen. Ich habe übrigens den Begriff "Outing" in den vorangegangenen Beiträgen durch "Coming-Out" ersetzt, da ein Outing eher durch Dritte vorgenommen wird (bitte vermeidet das!). Wenn sich jemand selbst outet, spricht man vom inneren und äußeren Coming-Out. Wieder was gelernt ;-).
Heterosexuelle Menschen haben weder ein inneres noch ein äußeres Coming-Out. Sie merken irgendwann, dass sie sich für das andere Geschlecht interessieren und fertig. Wir leben in einer heteronormativen Welt, das heißt, dass heterosexuelle Menschen ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass die Menschen in ihrer Umgebung auch heterosexuell sind. Sie sind damit von Anfang an in ihrer sexuellen Orientierung akzeptiert und müssen sich keine weiteren Gedanken darüber machen. Anders ist es bei queeren Menschen.
Dass äußere Coming-Outs überhaupt noch notwendig sind, zeigt für mich
persönlich schon die Frage "Hast Du einen Freund?". Bereits eine Antwort
hierauf kann (ungewollt) zum Coming-Out führen. Wenn Ihr Euch für
weltoffen haltet, dann fragt doch lieber "Hast Du einen Freund/eine
Freundin?" oder lasst solche in meinen Augen übergriffigen Fragen
einfach ganz weg.
Ein inneres Coming-Out ist für queere Menschen beinahe unabdingbar, um zu sich selbst zu finden. Es bedeutet, still für sich herauszufinden, wer man ist, mit welcher sexuellen Orientierung man sich identifiziert und sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Labels* wie "Homosexuell", "Bisexuell", "Asexuell", "Pansexuell" usw. können dabei helfen. Allerdings bin ich der Meinung, dass jeder für sich entscheiden soll, ob er sich selbst dann tatsächlich so labelt oder einfach mit dem Oberbegriff "Queer". Denn auch solche Labels können wiederum zum Schubladen-Denken verleiten. Für mich persönlich war es im Laufe des inneren Coming-Out-Prozesses wichtig, herauszufinden, welchem Label ich mich zugehörig fühle. Denn nur so konnte ich für mich herausfinden, wer ich bin.
Das innere Coming-Out ist ein Kampf mit sich selbst, bei dem verschiedene Faktoren von außen auch eine Rolle spielen können. Lebt man zum Beispiel in einem kleineren Ort oder gibt es ständig negative Äußerungen im Umfeld zu diesem ganzen Thema, kann das dazu führen, dass sich das Coming-Out verzögert oder die Ängste noch größer werden, als sie ohnehin schon sind. Solche Ängste sind beispielsweise Ablehnung, Inakzeptanz, Intoleranz oder dass man anders behandelt wird als vorher.
Auch ich hatte mit solchen Ängsten zu kämpfen, obwohl ich in einer weltoffenen Stadt lebe und im Nachhinein weiß ich auch, dass die Reaktionen zu meinem äußeren Coming-Out durchweg positiv sind. Aber ich kann keine Gedanken lesen und man weiß nie, wie die Leute reagieren. Am schlimmsten ist es wohl, sich jemandem anzuvertrauen, den man für weltoffen hält und dann eine Enttäuschung erlebt. Jeder queere Mensch hat sein eigenes Tempo beim inneren Coming-Out. Das kann wenige Wochen, mehrere Jahre oder ein Leben lang andauern. Ihr müsst bedenken, dass der Alltag weitergeht und man nicht jede freie Minute darüber nachdenkt/nachdenken kann. Es ist ein Prozess, der quasi permanent "nebenher" läuft. Außerdem kann es immer wieder zu äußeren Coming-Outs kommen, nämlich Menschen gegenüber, die neu ins Leben treten.
Ich habe lange überlegt, wie ich mein inneres Coming-Out am besten
thematisiere. Ich habe beschlossen, mein Tagebuch zu Rate zu ziehen und
einzelne, kurze Auszüge zu zitieren, um Einblick in meine Gefühls- und Gedankenwelt zu geben. Dabei werde ich aber nur das Jahr verraten, wann ich das geschrieben
habe. Denn das ist schon sehr persönlich.
Aber ich hoffe, damit Menschen
Mut zu machen, die noch mitten in diesem Prozess stecken. Ihr seid
nicht allein! Jedes Coming-Out ist individuell und meistens nicht
einfach! Ich habe in dieser Zeit viel recherchiert, mich informiert, Dokumentationen gesehen, Bücher gelesen und meine zwischenmenschlichen Beziehungen im Leben quasi Revue passieren lassen und teilweise neu bewertet. Je näher ich der Selbstakzeptanz kam, desto mehr feierte ich auch andere Menschen, die ihr Coming-Out öffentlich gemacht haben. Danke an dieser Stelle an Miley Cyrus, durch die ich zum ersten Mal vom Begriff der Pansexualität erfuhr. Danke auch an die 185 Schauspieler:innen, die ihr Coming-Out in einer gemeinsamen Aktion veröffentlicht haben sowie allen anderen queeren Menschen, die offen damit umgehen. Und an alle anderen: Das könnt Ihr auch schaffen! Und wenn Ihr noch nicht so weit seid, ist das auch vollkommen in Ordnung! Ich werde auch nicht jedem auf die Nase binden, wen ich liebe.
Und ich möchte interessierten heterosexuellen Menschen einen Einblick ins innere Coming-Out geben, denn da müsst Ihr nie durch!
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich niemandem in meinem Umfeld einen Vorwurf mache! Fakt ist in meinem Fall, dass ich mir selbst gegenüber lange Zeit vollkommen blind war und dachte, heterosexuell zu sein. Zu dieser Zeit war ich aber schon recht weltoffen:
2012 - neun Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"In der heutigen modernen Zeit ist es meiner Ansicht nach etwas völlig Normales, dass Männer Männer und Frauen Frauen lieben."
Den Begriff "normal" vermeide ich in diesem Zusammenhang inzwischen.
Mein inneres Coming-Out hat mehrere Jahre gedauert. Es ist nicht so, dass ich taggenau sagen könnte, wann mein inneres Coming-Out begann. Vielleicht ist es bei Pansexualität auch noch mal ein bisschen komplizierter als bei anderen sexuellen Orientierungen. Jedenfalls habe ich mich im Laufe der Zeit mit verschiedenen Labels versehen. Übrigens: Man muss nicht alles ausprobieren, um herauszufinden, worauf man steht! Das merkt man auch so.
Ich weiß noch, dass ich es nicht sofort ins Tagebuch schrieb, als ich merkte, mich auch zu Frauen hingezogen zu fühlen. Ich war verwirrt und fand dafür noch nicht die richtigen Worte. Schließlich habe ich mich aber dann doch immer dann, wenn ich Redebedarf dazu hatte, meinem Tagebuch anvertraut. Ich lasse die Zitate jetzt einfach für sich sprechen.
2014 - sieben Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"Ich weiß [...] gar nicht, ob ich heterosexuell bin."
"[...] ich weiß nicht, ob ich lesbisch bin, aber es spricht einiges dafür. Das ist angeboren, somit nicht meine Schuld."
2016 - fünf Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"Ein Thema lässt mich nicht los: Selbstfindung."
"[...] wobei ich inzwischen überzeugt bin, bi oder lesbisch zu sein. Ist [...] eine Bürde. [...] Versuche, es zu ignorieren."
"[...] mein Leben ist extrem kompliziert. Ich kann nie ich selbst sein, muss mich verstecken [...]."
2017 - vier Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"[...] ich lesbisch bin und mir das nur gerade mal eben selbst eingestehe."
"Immerhin habe ich es für mich akzeptiert. Hat Jahre gedauert."
"I am confused. Very confused. I know I am part of LGBT, but I don't know which part I have. I know that I can be in love with men and women but I don't understand it anyway. There are so many possibilities in life. You can take 1.000 jobs, 1.000 ways to live. But there is only one sexuality you have. You cannot choose. You have to deal with it. It doesn't matter if I am a lesbian or bisexual. I don't wanna put myself in a drawer and be there the rest of my life. I don't have to find out who I am exactly. I just have to find out what feels right for me. I have to follow my heart."
(Hier habe ich tatsächlich auf Englisch geschrieben. Ich hoffe, es ist grammatikalisch richtig und Ihr versteht es.)
"Ob ich lesbisch oder bi bin, geht nur mich etwas an. Vielleicht bin ich auch pan? Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist es MEIN Leben und es ist anstrengend, sich zu verleugnen - zumindest vor anderen."
2018 - drei Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"Ist doch wurscht, ob Du lesbisch, bi oder was auch immer bist. Aber wenn Du Angst hast, [Menschen] deswegen zu verlieren, weil sie es nicht akzeptieren, ist es sehr belastend. [...] Ich bin für mehr [...] Selbstverständlichkeit aller Sexualitäten."
"Ich habe mich innerlich geoutet vom Nicht-wahrhaben-Wollen bis Akzeptieren."
"Ich bin froh, zu wissen, wer ich bin."
"Mir kommt es auf den Charakter an."
"Ich bin auch kein gutes Vorbild, weil ich mich verstecke. Aber ich habe Angst, [Menschen] zu verlieren."
"Ich bin gut, so wie ich bin!"
2019 - zwei Jahre vor meinem äußeren Coming-Out:
"[...] und überlegte tatsächlich, mich zu outen. [...] Es könnte so viel verändern! [...] Niemand wacht eines Tages auf und fühlt sich 'unhetero'."
"Dass ich mich so akzeptiere, wie ich bin, ist ein Prozess, der gut voranschreitet."
"Ich glaube doch, pansexuell zu sein, weil ich das 'dritte Geschlecht' voll akzeptiere und mich eher in Menschen als in Körper verliebe."
2020 - ein Jahr vor meinem äußeren Coming-Out:
"[...] dann das innere Outing. Ich bin nicht frei, weil ich nicht offen mit meiner Sexualität umgehe(n kann)."
"Im Nachhinein gibt es so viele Szenen aus meinem Leben, die plötzlich Sinn ergeben. Gefühlschaos, das jetzt geordnet ist. [...] Ich bin froh, mit mir selbst im Reinen zu sein."
"#Love ist love
#Regenbogenflagge
#HauptsacheDuBistGlücklich
#DuBistGutSoWieDuBist"
"Wer ich bin, kann ich nicht ändern. Ich muss es daher akzeptieren. [...] Erst dann kann ich freier leben."
"[...] habe [...] meine sexuelle Orientierung für mich akzeptiert, traue mich aber nicht, das öffentlich zu machen."
"Ich bin nicht normabweichend. Ich bin was Besonderes. Einmal verinnerlichen, bitte."
2021 - kurz vor meinem äußeren Coming-Out:
"Ein guter Tag, um sich zu outen :D. [...] Klar habe ich auch Bedenken, aber ich möchte mich nicht länger verstecken!"
"[Coming-Out] an sich ist mir plötzlich wichtig, weil es nix zwischen den Menschen und mir, aber in mir selbst ändert!"
"Ich habe - das ist ganz normal - Angst. Aber genau diese Angst gilt es zu überwinden. [...]
ICH HABE ES GETAN!!!"
Das passierte tatsächlich relativ spontan und aus einem positiven Gefühl heraus.
Eure Melli ♥
*Label = Kennzeichnung von queeren Menschen, welcher sexuellen Orientierung oder Identität sie sich zugehörig fühlen.
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